80 Minuten Unterzahl, 90 Minuten starke Moral und der Nackenschlag in der Nachspielzeit
Es gibt diese Floskeln und Stilblüten im Fußball, die allesamt ein Kernchen Wahrheit transportieren und doch auch manchmal abgedroschen klingen. So vermeldete Tabellenprimus TuS Bersenbrück im Vorbericht, dass es wohl kaum eine schwierigere Aufgabe in der Oberliga gäbe, als beim SV Arminia anzutreten. Den Gegner ernst nehmen, bescheiden daherkommen und sich für eine etwaige Überraschung wappnen sind die Vorstellungen, die sich hinter dieser Floskel verbergen mögen. Allzu viel Angst machte der SVA dem jeweiligen Gast in dieser Saison noch nicht und der TuS aus der Kleinstadt Bersenbrück reiste ungeschlagen an. Wie schwierig sollten die Blauen diese Aufgabe also gestalten? Nun, wir gucken von der Theorie in die Empirie.
Erstens kommt es anders…
Auf der grünen Weide in Bischofshol mit den straffen Linien und den passgenauen Eckfahnen bespielte eine veränderte Formation des SVA den Tabellenführer. Fahad Barakzaie ersetzte Tim Stiller im defensiven Mittelfeld, Tom Becker vertrat den gesperrten Yannick Bahls auf der Position des Rechtsverteidigers und Aadam Sayed stürmte nach kurierter Prellung statt Finn Jüttner. Die erste Aktion des Spiels gehörte Lasse Denker, der nach schöner Aktion aussichtsreich zum Abschluss kam, aber am Schlussmann Bersenbrücks scheiterte. Die folgende Ecke wurde einmal, zweimal in Richtung Tornetz befördert und nicht geklärt. Daher dachte sich Marc-Benjamin Klusmann, er nähme besser Bezug auf die vom TuS proklamierte schwierige Aufgabe und nagelte das Runde ins Eckige. 1:0, drei Minuten waren gespielt und tatsächlich schien es, als würde es nicht so ganz einfach für den Tabellenführer. Sieben Minuten später wurde aber alles anders. Eine Flanke von Tom Becker nimmt Andrew Owusu direkt, sein strammer Schuss wird geblockt und es sollte Ecke geben. Diese wurde aber vom Schiedsrichter Niklas Olle unterbunden, der schnurstracks in den Strafraum marschierte und Aadam Sayed die rote Karte präsentierte! Was war geschehen? Der Bersenbrücker Gegenspieler Sayeds kniff diesen von hinten in die Hüfte, dieser wollte sich losreißen und genau diese Aktion ahndete der Referee als Tätlichkeit, was im Fußball zwangsläufig einen Platzverweis bedeutet. Eine harte Entscheidung, die aber im Regelwerk so zu finden ist. Eine gelbe Karte für den Arminen und den Agent Provocateur auf Seiten Bersenbrücks wäre auch im Spielraum des Ermessens gewesen, aber Fingenspitzengefühl hat man oder eben nicht. So ging es für den SVA fortan zu zehnt weiter und zwar über 80 Minuten zuzüglich zweier Nachspielzeiten. In der Theorie wird die schwierige Aufgabe nun zu einer deutlich leichteren Angelegenheit, aber der TuS präsentierte alles andere als Leichtigkeit. Recht wenig fiel den Gästen ein, ein paar englische Eröffnungen und ein paar Distanzschüsse in Richtung Messeschnellweg waren die einzigen Instrumente zur Fehlerdiagnose. Ganz anders der SV Arminia, der leidenschaftlich kämpfte und rannte und in der Folge sogar zu Chancen kam. Eine Flanke von David Lučić erreichte Andrew Owusu, der im Duell mit Bersenbrücks den Kürzeren zog. Die anschließende Ecke allerdings brachte das zweite Tor, wieder konnten die Gäste nicht konsequent klären und so setzte David Lučić dem Gezauder ein Ende und erhöhte in Unterzahl auf 2:0! Kurz danach machte sich Lasse Denker alleine auf den Weg in Richtung Gehäuse der Bersenbrücker, aber vergaß kurz vor Ende der Reise den Ball und ließ die aussichtsreiche Position so liegen. Und der Spitzenreiter? Der macht das, was so einen Spitzenreiter ausmacht. Einen vermeidbaren Eckball in der Nachspielzeit köpfte der Verteidiger mit dem bemerkenswerten Namen Nicolas Eiter aus kurzer Distanz in die Maschen, etwas Gegenwehr hätte dieses Unterfangen gewiss etwas verkompliziert. Mit dem 2:1 ging es in die Pause, die Floskel des Gegentors zu einem psychologisch ungünstigen Zeitpunkt machte die Runde, wobei noch zu klären wäre, zu welchem Zeitpunkt Gegentore psychologisch günstig fallen dürfen. Das aber vielleicht ein anderes Mal.
… und zweitens als man denkt
Zehn Arminen gegen elf Spitzenreiter, wie schwer kann diese Aufgabe für die Bersenbrücker schon sein? Die Richtung der Halbzeit war klar, alles lief auf die von Erik Geesmann gehütete Kiste zu. Dieser zeichnete sich früh mit einer Glanztat aus, als einen abgefälschten Schuss über die Latte lenkte. Überhaupt ist die Lufthoheit des Schlussmannes nicht genug zu würdigen, jede Flanke oder Ecke oder jeden Freistoß pflückte er herunter und wenn das einmal nicht klappte, dann wurde der Ball per Faust aus der Gefahrenzone befördert. Einige Gegenstöße hatte aber der SVA noch im Tank. Ein solcher sollte Luis Prior Bautista finden,gerite jedoch zu kurz. Nach einer guten Stunde versuchte es Fahad Barakzaie fast von der Mittellinie, aber der aufgerückte Tormann Bersenbrücks musste dem Ball nur hinterherschauen, zu weit war er neben das Tor gezielt. Der Spitzenreiter zeigte Nerven, wollte den Ball bei der Verletzung Andrew Owusus nicht ins Aus schießen und reklamierte auf Zeitspiel. Eine 80-minütige Überzahl sollte doch eigentlich einem Topteam genug Zeit auf der Uhr lassen, um Zählbares zu erzielen. Dies versuchte von nun an Moritz Alten im Sturmzentrum der Arminen, er war für Andrew Owusu gekommen. Der Gast wurde hektischer, nervöser und eine nennenswerte Torchance war noch immer nicht herausgesprungen. Als Tom Becker allerdings verletzungsbedingt behandelt werden musste, nutzte der Primus die zweifache Überzahl und glich zehn Minuten vor Ende aus. Spielerisch gewiss glücklich, aber aufgrund der Überlegenheit auch verdient. Die letzten zehn Minuten brachten kaum noch Entlastung für den SVA, aber auch wenig Abschlüsse des TuS. In der Schlussminute legte der eingewechselte Tim Stiller noch einmal für Luis Prior Bautista auf, der eine Ecke herausholte. Hier wurde aus den angekündigten schwierigen 90 Minuten für den TuS die doch zu einfache letzte Minute, denn dieser Eckball wurde für den SVA zum Boomerang. Die Ecke wurde abgefangen, über wenige Stationen kombinierte sich der Gast nach vorne und schloss zur Führung ab. 80 Minuten in Unterzahl, zweifache Führung und großer Kampf fanden ein dramatisches Ende, denn der SVA hatte keine Antwort mehr parat. Irgendwann spät in der fünfminütigen Nachspielzeit fiel dann noch das 2:4, aber das war letztlich egal. Alles hatte die Truppe von Semir Zan auf den Rasen geworfen, aber die Sensation blieb aus und die meisten der knapp 450 Zuschauer und Zuschauerinnen mussten nach Worten suchen. Eine Heimniederlage gegen den Spitzenreiter, die nicht bitterer hätte schmecken können. Aufbauende Worte für die tapferen Arminen gab es nach Abpfiff reichlich, aber ein Punkt wäre allen Beteiligten lieber gewesen.
Der Fußballtempel in Bischofshol
Sonntag nach Vorsfelde
Am kommenden Sonntag kann die Elf von Semir Zan den Frust aus den Schlappen schießen, aber einfach wird die Aufgabe nicht. Es geht zum SSV Vorsfelde. Der Aufsteiger ist sehr gut in die Saison gekommen und grüßt aktuell sogar von Platz drei. Im September holten die Wildschweine aus dem Wolfsburger Stadtteil satte 13 von 15 Punkte. Die letzte Pleite gab es in Bersenbrück, aber das Schicksal teilen wir ja. Was es mit den Wildschweinen auf sich hat, wo Vorsfelde nun genau liegt und wie man dort hinkommt wird in den kommenden Tagen auf diesem und anderen Kanälen erörtert, bis dahin heulen wir uns heute noch einmal die Augen aus und ab morgen wird alles wieder gut. Ganz bestimmt sogar.